Archive for Juli, 2024

Gedichte – Hans Kruppa

Mittwoch, Juli 31st, 2024
Vergesslichkeit

Manchmal wüsche ich mir
ein Haus mit Zauberwänden,
in das die Welt nicht dringt
mit ihrem seelenlosen Unverständnis,
wo ich nichts von ihr
sehe, höre, spüre,
wo ich allein bin
und mich ganz öffnen kann
dem Leben, das ich meine,
wo nichts mich behindert
und niemand mich stört,
wo jeder Atemzug mir gehört
und alles nach
meiner Willenlosigkeit geht.

Manchmal vergesse ich,
dass dieses Haus in mir steht.

 
IM ENTSCHEIDENDEN MOMENT

Wie schade, daß du nicht spürtest,
daß ich kurz davor war,
dir mein Vertrauen zu schenken.

Im entscheidenden Moment
interessierte dich mehr,
was in dir vorging,
als das,
was zwischen uns
zu werden versprach.

Auch so kann man
ein Versprechen brechen.

 
SAG MIR

Sag mir, was Liebe ist,
doch nicht mit deiner Stimme:
hab schon so viele Worte gehört
und die meisten vergessen.

Zeig mir, was Liebe ist,
doch nicht mit deinen Augen:
hab schon so viele Blicke in mein Herz gelassen,
und keiner ist geblieben.

Laß mich fühlen, was Liebe ist,
doch nicht mit deinem Körper:
bin schon so oft umarmt worden,
weiß kaum noch, von wem.

Sei einfach bei mir,
laß dein Schweigen meine Zweifel zerschmelzen.
Bleib bei mir.
Sei alles, was mir bleibt.

 
Weißt Du, wie?

Vielleicht haben wir
die gleiche Sehnsucht,
und vielleicht können wir sie
aneinander stillen.
Und dann beginnen wir uns
womöglich zu lieben.

Oder wir flüchten voreinander -
aus Angst vor der Macht,
die der eine über den anderen
gewinnen könnte.

Oder wir trennen uns -
wie zwei Fremde,
die sich auf der Strasse
kurz zulächeln und sich
schon wieder verlieren.

Ich lasse mich überraschen.
Und wenn auch Du nicht weisst,
was auf der nächsten Seite
unserer Geschichte steht,
ist die Spannung ganz
auf unserer Seite.

 

 
OHRFEIGEN

Zu viele Ohrfeigen ins Gesicht der Liebe
machen es traurig und mutlos -
und es kann kein Lächeln mehr schenken,
keinen Zauber mehr erwecken.
Es kann sich nur in Vergessenheit waschen,
jeden Morgen aufs neue
und in den Spiegel der Hoffnung schauen,
solange er noch heil ist.

 

Ein dunkler Punkt

Du bist auf dem Weg,
ich kann dich schon sehen:
ein dunkler Punkt in weiter Ferne,
der langsam größer wird.
Du hast keine Eile,
und ich kann warten,
denn die Sonne scheint
auf meine besten Zeiten

Hier, wo ich sitze,
wächst zwar der Pfeffer,
und die Füchse sagen
sich guten Tag,
aber nachts fressen mir
die Sterne aus der Hand,
und es gibt Frieden
in Hülle und Fülle.

 

Und trotzdem

Ich weiß es längst:
ein Mensch, der mir
sehr viel geben kann,
kann mir ebenso viel nehmen.
Und trotzdem falle ich immer aus allen Wolken
wenn es geschieht.
Ich stehe wohl nicht gerne mit beiden Beinen
auf dem Boden.

 
SCHALL UND RAUCH

Wie man sich täuschen kann,
wenn man sich täuschen will
in einem Menschen.

Wie man ihn
zu etwas Besonderem macht,
wenn man etwas Besonderes braucht.

Wie man sich
Illusionen machen kann,
wenn man die Wahrheit
nicht wahrhaben will -

bis sie dann
wie der Blitz einschlägt in die Galerie der Wunschbilder
und nichts hinterläßt
als Schall und Rauch.

 
KUSSDIALOG

Lass uns sterben
vor Glück,
sagte dein Kuss,
denn im Leben werden wir
dieses Gefühl verlieren.

Lass uns leben
vor Glück,
antwortete mein Kuss,
denn sterben können wir immer noch,
wenn wir dieses Gefühl
verloren haben

 
LETZTE HOFFNUNG

Ich schenkte dir meine Liebe;
du gabst mir dein Zögern.
Ich schenkte dir meine Poesie;
du gabst mir dein Schweigen.
Ich schenkte dir meine Visionen;
du gabst mir deine Wirklichkeit.
Ich schenkte dir meinen guten Willen;
du gabst mir deine Launen.
Ich schenkte dir einen Garten;
du gabst mir brachliegendes Land.

Jetzt gebe ich dir dieses Sackgassengedicht.
Schenkst du mir neue Zuversicht?

 
ENTSCHLUSS

Ich hab den Weg unserer Möglichkeiten
verlassen . Er wurde mir zu dornig,

musste auf nackten Sohlen gehen, denn es
fand keine Schuhe, die ihm passten.

Mir ist dieser Entschluss nicht
leicht gefallen, ich habe ihn hinausgezögert

bis an die Grenze meiner Gutwilligkeit -

doch Schritte die zu sehr schmerzen,
führen nicht in die Freiheit, die ich meine.

 
Glaub an dich

Steh zu dir,
sooft du auch
gefallen bis. Nimm dich wahr,
wie lange du dich,
auch verleugnet hast.
Bleib dir treu,
sooft du dich auch,
noch betrügen magst.
Geh mit dir
und wenn du dich
tausendmal in die Irre führst.
Nick dir zu,
selbst wenn die ganze Welt,
den Kopf über dich schüttelt.
Glaub an dich, dann hast du
eine Religion, die dir weiterhilft.