Archive for the ‘Gedichte’ Category

Gedichte – Erich Fried

Montag, November 26th, 2012

—-WAS ES IST—-

Es ist Unsinn

sagt die Vernunft

Es ist was es

ist

sagt die Liebe

Es ist Unglück

sagt die Berechnung

Es ist nichts als Schmerz

sagt die Angst

Es ist aussichtslos

sagt die Einsicht

Es ist was es ist

sagt die Liebe

Es ist lächerlich

sagt der

Stolz

Es ist leichtsinnig

sagt die Vorsicht

Es ist unmöglich

sagt die Erfahrung

Es ist was es ist

sagt die Liebe

—-DICH—-

Dich nicht näher denken

und dich nicht weiter denken

dich denken wo du

bist

weil du dort wirklich bist

Dich nicht älter denken

und dich nicht jünger denken

nicht größer nicht kleiner

nicht hitziger und nicht kälter

Dich denken und mich nach dir sehnen

dich sehen wollen

und dich

lieb haben

so wie du wirklich bist

—-DIE WARNER—-

Wenn Leute dir sagen:

“Kümmere dich nicht

soviel

um dich selbst”

dann sieh dir

die Leute an

die dir das sagen:

An ihnen kannst du erkennen

wie

das ist

wenn einer

sich nicht genug

um sich selbst

gekümmert hat

—-NUR NICHT—-

Das Leben wäre vielleicht einfacher

wenn ich dich gar nicht getroffen hätte

Weniger Trauer jedes Mal wenn wir uns

trennen müssen

weniger Angst vor der nächsten und übernächsten Trennung

Und auch nicht soviel von dieser machtlosen Sehnsucht

wenn du nicht da bist

die nur das Unmögliche will und das sofort im nächsten Augenblick

und die

dann weil es nicht sein kann betroffen ist und schwer atmet

Das Leben wäre vielleicht einfacher wenn ich dich nicht getroffen hätte

Es wäre nur nicht mein Leben

—-SPÄTER GEDANKE—-

Meiner

Unermüdlichkeit

bin ich

auf einmal

so müde

dass mir einfällt

ob du ihrer nicht

schon lange

müde sein musst.

—–ERWÄGUNG—-

Ich soll das Unglück

das ich durch dich erleide

abwägen

gegen das

Glück

das du mir bist

Geht das nach Tagen

und Stunden?

Mehr Wochen

der Trennung

des Kummers

des Bangseins nach dir

und um dich

als Tage des Glücks

Aber was soll das Zählen?

Ich habe dich

lieb

—-AUFHEBUNG—-

Sein Unglück

ausatmen können

tief ausatmen

so dass man wieder

einatmen kann

Und vielleicht auch sein Unglück

sagen können

in Worten

in wirklichen Worten

die

zusammenhängen

und Sinn haben

und die man selbst noch

verstehen kann

und die vielleicht sogar

irgendwer sonst versteht

oder verstehen könnte

Und weinen können

Das wäre schon

fast

wieder

Glück

—-DICH NUR EINMAL SEHEN—-

Dich nur einmal sehen und dann nie wieder

muss leichter sein, als Dich noch einmal

und dann nie wieder sehen.

Dich noch einmal sehen und dann nie wieder

muss leichter sein, als Dich noch

zweimal

und dann nie wieder sehen.

Dich noch zweimal sehen und dann nie wieder

muss leichter sein, als Dich noch dreimal

und dann nie wieder sehen.

Aber ich bin dumm und

will Dich noch viele Male sehen,

bevor ich Dich

nie wieder sehen kann.

—-GLÜCK—- 

Dann

Wenn dein Glück

kein Glück mehr ist

dann kann deine Lust

noch Lust sein

und deine Sehnsucht ist noch

deine wirkliche Sehnsucht

Auch deine Liebe

kann noch Liebe

sein

beinahe noch glückliche Liebe

und dein Verstehen

kann wachsen

Aber dann will auch

deine Traurigkeit

traurig sein

und deine Gedanken

werden mehr und mehr

deine Gedanken

Du bist dann wieder du

und

fast zu sehr bei dir

Deine Würde ist deine Würde

Nur dein Glück

ist kein Glück mehr

—-WAS WEH TUT—–

Wenn ich dich

verliere

was

tut mir dann weh?

Nicht der Kopf

nicht der Körper

nicht die

Arme

und nicht die Beine

Sie sind müde

aber sie tun nicht weh

oder nicht ärger

als das eine Bein immer weh tut

Das Atmen tut nicht weh

Es ist etwas beengt

aber weniger

als von einer Erkältung

Der

Rücken tut nicht weh

auch nicht der Magen

die Nieren tun nicht weh

und auch nicht das Herz

Warum

ertrage ich es

dann nicht

dich zu verlieren?

—-WIE DU SOLLTEST GEKÜSST SEIN—-

Wenn ich dich

küsse

ist es nicht nur dein Mund

nicht nur dein Nabel

nicht nur dein Schoß

den ich küsse

Ich küsse auch deine Fragen

und deine Wünsche

ich küsse dein Nachdenken

deine Zweifel

und deinen Mut

deine Liebe zu

mir

und deine Freiheit von mir

deinen Fuß

der hergekommen ist

und der wieder fortgeht;

ich küsse dich

wie du bist

und wie du sein wirst

morgen und später

und wenn meine Zeit vorbei ist.

Erschwerung

—-MEINE WAHL—-

Gesetzt ich verliere dich

und hab dann zu entscheiden

ob ich dich noch ein Mal sehe

und ich weiß:

Das nächste Mal

bringst du mir zehnmal mehr Unglück

und zehnmal weniger

Glück

Was würde ich wählen?

Ich wäre sinnlos vor Glück

dich wieder zu sehen.

Gedichte – Hans Kruppa

Montag, November 26th, 2012

—-VERGESSLICHKEIT—-

Manchmal wüsche ich mir

ein Haus mit

Zauberwänden,

in das die Welt nicht dringt

mit ihrem seelenlosen Unverständnis,

wo ich nichts von ihr

sehe, höre, spüre,

wo ich allein bin

und mich ganz öffnen kann

dem Leben, das ich meine,

wo nichts mich

behindert

und niemand mich stört,

wo jeder Atemzug mir gehört

und alles nach

meiner Willenlosigkeit geht.

Manchmal vergesse ich,

dass dieses Haus in mir steht.

—-IM ENTSCHEIDENDEN MOMENT—-

Wie schade,

daß du nicht spürtest,

daß ich kurz davor war,

dir mein Vertrauen zu schenken.

Im entscheidenden Moment

interessierte dich mehr,

was in dir vorging,

als das,

was zwischen uns

zu werden

versprach.

Auch so kann man

ein Versprechen brechen.

—-SAG MIR—-

Sag mir,

was Liebe ist,

doch nicht mit deiner Stimme:

hab schon so viele Worte gehört

und die meisten vergessen.

Zeig mir, was

Liebe ist,

doch nicht mit deinen Augen:

hab schon so viele Blicke in mein Herz gelassen,

und keiner ist geblieben.

Laß mich fühlen, was Liebe ist,

doch nicht mit deinem Körper:

bin schon so oft umarmt worden,

weiß kaum noch, von wem.

Sei einfach bei mir,

laß dein Schweigen meine Zweifel zerschmelzen.

Bleib bei mir.

Sei alles, was mir bleibt.

—-WEISST DU WIE?—-

Vielleicht haben wir

die gleiche Sehnsucht,

und

vielleicht können wir sie

aneinander stillen.

Und dann beginnen wir uns

womöglich zu lieben.

Oder wir flüchten voreinander -

aus Angst vor der Macht,

die der eine über den anderen

gewinnen könnte.

Oder wir

trennen uns -

wie zwei Fremde,

die sich auf der Strasse

kurz zulächeln und sich

schon wieder verlieren.

Ich lasse mich überraschen.

Und wenn auch Du nicht weisst,

was auf der nächsten Seite

unserer Geschichte

steht,

ist die Spannung ganz

auf unserer Seite.

—-OHRFEIGEN—-

Zu viele Ohrfeigen ins Gesicht der Liebe

machen es traurig und mutlos -

und es kann kein Lächeln mehr schenken,

keinen Zauber

mehr erwecken.

Es kann sich nur in Vergessenheit waschen,

jeden Morgen aufs neue

und in den Spiegel der Hoffnung schauen,

solange er noch heil ist.

—-EIN DUNKLER PUNKT—-

Du bist auf dem Weg,

ich kann

dich schon sehen:

ein dunkler Punkt in weiter Ferne,

der langsam größer wird.

Du hast keine Eile,

und ich kann warten,

denn die Sonne scheint

auf meine besten Zeiten

Hier, wo ich sitze,

wächst zwar der

Pfeffer,

und die Füchse sagen

sich guten Tag,

aber nachts fressen mir

die Sterne aus der Hand,

und es gibt Frieden

in Hülle und Fülle.

Und trotzdem

Ich weiß es längst:

ein Mensch, der

mir

sehr viel geben kann,

kann mir ebenso viel nehmen.

Und trotzdem falle ich immer aus allen Wolken

wenn es geschieht.

Ich stehe wohl nicht gerne mit beiden Beinen

auf dem Boden.

—-SCHALL UND RAUCH—-

Wie man sich täuschen kann,

wenn man sich täuschen will

in einem Menschen.

Wie man ihn

zu etwas Besonderem macht,

wenn man etwas Besonderes braucht.

Wie man sich

Illusionen machen kann,

wenn man

die Wahrheit

nicht wahrhaben will -

bis sie dann

wie der Blitz einschlägt in die Galerie der Wunschbilder

und nichts hinterläßt

als Schall und Rauch.

—-KUSSDIALOG—-

Lass uns sterben

vor

Glück,

sagte dein Kuss,

denn im Leben werden wir

dieses Gefühl verlieren.

Lass uns leben

vor Glück,

antwortete mein Kuss,

denn sterben können wir immer noch,

wenn wir dieses Gefühl

verloren

haben.

—-LETZTE HOFFNUNG—-

Ich schenkte dir meine Liebe;

du gabst mir dein Zögern.

Ich schenkte dir meine Poesie;

du gabst mir dein Schweigen.

Ich schenkte dir meine Visionen;

du gabst mir deine

Wirklichkeit.

Ich schenkte dir meinen guten Willen;

du gabst mir deine Launen.

Ich schenkte dir einen Garten;

du gabst mir brachliegendes Land.

Jetzt gebe ich dir dieses Sackgassengedicht.

Schenkst du mir neue

Zuversicht?

—-ENTSCHLUSS—-

Ich hab den Weg unserer Möglichkeiten

verlassen . Er wurde mir zu dornig,

musste auf nackten Sohlen gehen, denn es

fand keine Schuhe, die ihm passten.

Mir ist dieser

Entschluss nicht

leicht gefallen, ich habe ihn hinausgezögert

bis an die Grenze meiner Gutwilligkeit -

doch Schritte die zu sehr schmerzen,

führen nicht in die Freiheit, die ich meine.

—-GLAUB AN DICH—-

Steh zu dir,

sooft du auch

gefallen bist. Nimm dich wahr,

wie lange du dich,

auch verleugnet hast.

Bleib dir treu,

sooft du dich auch,

noch betrügen magst.

Geh mit dir

und wenn du dich

tausendmal in die Irre führst.

Nick dir zu,

selbst wenn die ganze Welt,

den Kopf über dich schüttelt.

Glaub an dich, dann hast du

eine Religion, die dir weiterhilft.